Wann warst du zuletzt in einer Situation, die dir richtig peinlich war? In der du oder eine andere Person sich oder dich blamiert hat?
Ich wage die Behauptung, dass sich keiner von uns gerne blamiert oder bloßgestellt fühlt.
Simon, der Pharisäer in Lukas 7 hat vielleicht ähnlich empfunden. Der Abend in seinem Haus war anders geplant, bevor die stadtbekannte Sünderin eine Szene macht.
Simon ist ein höflicher Kerl, nett, aber distanziert. Sein Leben hat er im Griff und die Kontrolle entgleitet ihm selten. Der Abend war durchdacht, das Essen vorbereitet, Jesus rechtzeitig informiert. Die Einadung verläuft gut, man unterhält sich, diskutiert die ein oder andere theologische Frage. Eigentlich passt doch alles.
Simon macht nichts falsch, aber auf Distanz macht man sich auch nicht verletzlich. Wenn ich Herr der Situation bleibe, meine Gefühle und Terminkalender kontrollieren kann, kann mir keiner was. Wenn ich nach Protokoll handele und Konventionen einhalte, kann mir keiner was vorwerfen.
Wir machen uns nicht gerne verletzlich, denn wir haben Angst verletzt zu werden.
Doch ohne Verletzlichkeit können wir nicht lieben.
Die Verletzlichkeit sehen wir in der Frau, die für Simon eine unangenehme Situation kreiert. Es ist peinlich, wie sich diese Frau an Jesus Füße klammert. Peinlich, wie sie anfängt zu heulen. Ihr Make-Up verläuft, Rotz und Wasser tropfen auf die Füße Jesu und sie fängt an sie mit ihren Haaren abzutrocknen. Sie küsst seine Füße und gießt das teuerste Parfümöl auf sie. Es sind intime, hingebungsvolle und gleichzeitig so verletzliche Gesten. Sie zeigt, wie sie fühlt und geht ein Risiko ein, denn sie könnte bloßgestellt werden. Jesus könnte sie öffentlich brüskieren und zurückweisen.
Wer liebt macht sich verletzlich, weil er sein Inneres nach außen kehrt.
Niemand ist so verletzlich, wie der, der viel liebt.
Das Wesen der Liebe setzt sich aus zwei Dingen zusammen: die sich-verschenkende Liebe und das eigene Bedürfnis nach Liebe. Und diese zwei Dinge geschehen nie aus Distanz. Lieben funktioniert nicht aus Distanz.
Jesus selbst liebt nicht auf Distanz, sondern lässt nahekommen, ohne jemanden in seiner Verletzlichkeit bloßzustellen. Und Jesus kommt uns nahe und macht sich selbst verletzlich, in dem er uns liebt.
Mit einer Liebe, die sich hingibt. Die nicht zurückhält, keine Kosten scheut und aufs Ganze geht. Die nicht aufgrund des Risikos verletzt zu werden aufhört zu geben. Bedingungslos, nahbar, echt.
Lieben funktioniert nicht auf Distanz.
Liebe geben und Liebe empfangen funktioniert nur, wenn ich ganz nah an mich heranlasse.
Und das wünsch ich dir von Herzen. Ein Herz, das sich im Vertrauen auf einen Gott, der sich selbst verletzlich gemacht hat, verletzlich macht, um zu lieben.
"Zu lieben bedeutet, sich verletzlich zu machen. Lieben Sie irgendetwas, und Sie werden feststellen, dass Ihr Herz Schmerz empfindet, wenn nicht sogar gebrochen wird. Wenn Ihr Herz intakt bleiben soll, dann sollten Sie es an nichts und niemanden verschenken, nicht einmal an ein Tier. Packen Sie es sorgfältig ein in Hobbies und kleine Annehmlichkeiten. Vermeiden Sie alle Beziehungen. Sperren Sie es sicher ein in den Sarg Ihrer Selbstsucht. Aber in diesem Sarg - sicher, dunkel, starr, luftdicht - wird es sich verändern. Es wird nicht gebrochen; es wird vielmehr verhärtet, undurchdringlich, rettungslos verloren. Die Alternative zur Tragödie, oder zumindest zum Risiko der Tragödie, ist die Verdammnis. Der einzige Ort außerhalb des Himmels, an dem sie absolut sicher vor all den Gefahren und beunruhigenden Begleiterscheinungen der Liebe sind, ist die Hölle."
C. S. Lewis, "Was man Liebe nennt"
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