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„Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Predigt zur Jahreslosung aus Gen 16:13

Vom dem Gefühl nicht gesehen zu werden und dem Unsichtbarsein


"Sehen und Gesehen werden“.

Mit diesem Ausdruck beschreiben wir eine Motivation auf Feste und Veranstaltungen zu gehen, von denen wir uns erhoffen, dass sie unser Ansehen steigern und persönliche Anerkennung bringen.


Als Menschen sehnen wir uns danach wahrgenommen und angenommen zu sein, gesehen und gekannt zu werden, für die, die wir sind. Das ist nicht falsch oder richtig, sondern menschlich.


Schon als Kinder wollen wir, dass Papa oder Mama genau sehen, was wir können: „Papa, schau mal was ich kann“ rufe ich, wenn ich von der Mauer springe, nur um es nach seiner anerkennenden Wahrnehmung noch 100 Mal wieder zu tun.


Wir suchen nach Bestätigung, sehnen uns nach Aufmerksamkeit und die meisten Konflikte in zwischenmenschlichen Beziehungen entstehen, weil wir oder unser Gegenüber uns nicht geachtet, gesehen oder anerkannt fühlen.


Wann hast du dich zuletzt nicht gesehen gefühlt?
Dich allein und unsichtbar in deiner Not oder Situation gefühlt?

In den ersten Tages des neuen Jahres flutete der diesjährige Losungsvers aus Genesis 16,13 „Du bist ein Gott, der mich sieht“ die Sozialen Medien.


Nach einer kleinen Umfrage unter 200 TN wurde deutlich, dass 90% sich von dem Vers sehr angesprochen fühlen, 5% meinten, dass er sie nicht anspricht und 5 weitere % finden das Konzept von Jahreslosungen albern.


Doch es scheint, dass dieser Vers, dieses „Gesehen werden von Gott“ etwas ganz Wichtiges in uns anspricht, eine Seite in uns zum Klingen bringt, Antwort auf eine Not, eine Sehnsucht, ein tiefes Bedürfnis ist.


Eine junge Frau schrieb mir, dass die Jahreslosung sie so anspricht, weil sie sich im letzten Jahr so ungesehen gefühlt habe.


Und mit diesem Gefühl des „nicht Gesehen-Werden“ beginnt auch der Kontext rund um die Geschichte von Hagar, Sarai und Abrahahm, in der dieser Vers auftaucht.


Die Situation ist folgende (Genesis 16,1-3):


1 Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar. 2 Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der HERR hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme. Und Abram gehorchte der Stimme Sarais. 3 Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte.


Hebräische Erzählungen klingen knapp und nüchtern, aber wenn man näher blickt begegnen einem viele Gefühle. Denn es ist zunächst die Geschichte einer enttäuschten Frau – Sarais Leben bleibt weit hinter ihren Erwartungen zurück – ihr Vorwurf an Gott: „der Herr hat mich verschlossen“. Sie kann keine Kinder bekommen und fühlt sich von Gott, ihrem Mann und der Gesellschaft in ihrer Not nicht gesehen.

Abraham spielt eher eine reaktionäre Rolle, auch er ist enttäuscht, fühlt sich in seiner Position ungesehen und reagiert passiv. „Gut machen wir es halt so, wie du willst“ sagt er zu seiner Frau, als sie das Glück in ihre Hände nimmt.

Hagar, was vermutlich nicht ihr Geburtsname ist, wird nicht nach ihren Wünschen oder Bedürfnissen gefragt – sie ist eine Sklavin aus Ägypten, weit weg von ihrer Familie ist sie einer Herrin unterstellt und soll als Mittel zum Zweck in dieser Geschichte dienen, um Sarais Wunsch nach einem Nachkommen zu erfüllen.

Das hebräische Wort „hagar“ bedeutet „Fremde“ – jedes Mal, wenn sie bei ihrem Namen gerufen wird, wird sie gleichzeitig ausgeschlossen: Du bist keine von uns, du gehörst nicht dazu. Während Sarai und Abraham sich nicht gesehen fühlen, personifiziert Hagar die Unsichtbarkeit gerade zu und wird in der Weltgeschichte zur Identifikationsfigur vieler Menschen, die versklavt, benutzt und ausgebeutet wurden. Hagar wird Opfer anderer Machtinteressen und erinnert uns daran, dass biblische Erzählungen kein Interesse haben die Mächtigen zu schützen oder zu beschönigen.


Von der Unsichtbarkeit ins Scheinwerferlicht


Doch wie es das Schicksal so will, oder besser gesagt, wie Sarai es will, wird Hagar schwanger. Da die biblische Geschichte nicht vereinfacht in gute und schlechte Menschen unterteilt, lesen wir hier, dass Hagar zwar Opfer ihrer Herrin wird, aber sie die Gunst der Situation nutzen wird, um ihre eigene Position zu stärken.


4 Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering. 5 Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen. Der HERR sei Richter zwischen mir und dir. 6 Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir’s gefällt. Da demütigte Sarai sie, sodass sie vor ihr floh.


Zunächst zeichnet sich in Hagars Perspektivlosigkeit eine Veränderung an – sie gerät von der Unsichtbarkeit in die Aufmerksamkeit, und das Ansehen, das ihr bisher verwehrt blieb, scheint in Reichweite. Hagar erfährt ein Privileg, das ihrer Herrin vorenthalten ist - sie wird schwanger und Hagar beginnt nun auf Sarah herabzusehen. Das Ringen um Aufmerksamkeit und Ansehen scheint wie ein Wettbewerb – hast du mehr als ich schau auch zu dir herauf, hast du weniger als ich, schau ich auf dich herab.


Das hatte Sarai nicht kommen sehen, das war nicht ihr Plan und so klagt sie Abraham an. Abraham verschließt einmal mehr die Augen. Sehen, hinschauen, das ist auch anstrengend, denn man könnte ja mittverantwortlich gemacht werden.


Neben all den uns fremden Elementen ist es auch ein allzu menschlicher Konflikt, der sich hier zeigt.


Wir sehen den anderen nicht an, verleihen einander kein Ansehen und bleiben damit selbst ungesehen.


Hagars Rechnung geht ebenfalls nicht auf, weil Sarai trotz alles Ansprüche auf das Kind in ihrem Bauch, am längeren Hebel sitzt und beginnt ihr das Leben zur Hölle zu machen.


Es wird so schlimm, dass Hagar die Flucht in die Wüste der Gegenwart ihrer Herrin vorzieht. Sie irrt durch die Wüste, als Gott sie findet.


„Du bist ein Gott, der mich sieht“


7 Aber der Engel des HERRN fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur. 8 Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen. 9 Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand. 10 Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können. 11 Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört.


In der Wüste kommt es zu einer Gottesbegegnung, vielleicht zu Hagars ersten. Sie wird diesem Gott den Namen „El-Roi“ geben – „Ein Gott, der mich sieht“.


Wie kommt Hagar zu diesem Bekenntnis, dass Gott sie sieht ?Schließlich sagt Gott gar nicht direkt – „Hey ich sehe dich, du bist wertvoll, du bist wichtig.“

Und doch wird Hagar es so empfinden.


Wenn wir uns diese Begegnung Hagars mit Gott anschauen, sehen wir drei Aspekte, die Gottes Antwort beinhaltet.


Gottes Antwort besteht…

  1. …aus einer Zuwendung: in einer absoluten Notlage begegnet Gott Hagar und stellt ihr zuallererst eine Frage - „Wo kommst du her und wo willst du hin?“ Ich finde es erstaunlich und es ist etwas, was mich an Gott immer wieder berührt – er beginnt nicht mit einer Unterstellung, nicht mit einer Analyse oder seiner Meinung – er beginnt die Begegnung mit einer Frage und Gott zeigt echtes, aufrichtiges Interesse – Er sieht uns an, er sieht uns in die Augen und stellt eine Frage! Es fällt auf, dass Hagar nur auf eine Teilfrage antwortet – sie kann nur sagen, woher sie kommt, sie weiß nicht, wohin sie will. Sie hat keinen Plan, keine Perspektive, keine Orientierung und Gottes Antwort ist vielleicht auch nicht das, was sie sich erhofft hätte.

  2. ….aus einer Zumutung: „Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.“ - Geh zurück in deine Umstände, denen du entflohen willst, der Ort, von dem Du weggerannt bist. – Hagars Reaktion hätte darauf auch gut sein können: „Du bist ein Gott, der mir zu viel zumutet. Ich fühle mich nicht gesehen, ich fühle mich in meiner Situation nicht ernstgenommen und das ist überhaupt keine gute Idee.“ Wie oft richtet sich unser Blick bei Gottes Wort darauf – „Gott, ich fühle mich übergangen, unrecht behandelt, finde das jetzt für mich nicht das Beste“ Ich kenne das von mir, dass die Fragen: „Wie kannst du das zulassen? Liebst du mich nicht? Siehst du mich nicht?“ schnell meine Gedanken einnehmen wollen. Wir übergehen den Aspekt dieser Zumutung manchmal schnell – doch Hagars Situation verändert sich durch doe Gottes Begegnung nicht. Sie geht zurück zu ihrer Herrin, vielleicht wird sie für das Wegrennen sogar bestraft.

  3. .aus einer Zukunft: Gottes Antwort ist nicht nur eine Zuwendung, nicht nur eine Zumutung, sondern sie bekommt eine Zukunft verheißen. Allein ein „geh zurück“ wär herzlos, aber eingebettet in die Verheißung, eingebettet in die Perspektive auf Trost, auf Hoffnung, auf Zukunft, schöpft Hagar neuen Mut, neuen Lebenswillen und Kampfgeist.

Diese Erkenntnis bringt sie zu der Aussage, die den Kern der Jahreslosung ausmacht:

Genesis 16, 13: Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss habe ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat. 14 Darum nannte man den Brunnen: Brunnen des Lebendigen, der mich sieht.

„Du bist ein Gott, der mich sieht. Ich sehe den, der mich ansieht. Es ist der lebendige Gott, der mich sieht. Er sieht mich jetzt, ich sehe ihn und er wird mich auch in der Zukunft sehen.“


Diese junge, fremde Sklavin begegnet dem lebendigen Gott, dem sie nicht egal ist, bei dem sie nicht unsichtbar ist, sich um Ansehen noch nicht einmal bemühen muss, sondern der sich ihr in seiner Liebe und Güte zuwendet.


Sie begegnet einem Gott, der in Not und Elend nicht wegschaut, dem menschliche Hierarchien egal sind.


Von den rund 700 Namen und Bezeichnungen für Gott in der Bibel ist Hagar die erste Person in der Bibel, die Gott mit einem Namen ausstattet und damit als fremde Sklavin in die Geschichte eingeht.


„Du bist El-Roi - ein Gott, der mich sieht.“

Dieses alte Bekenntnis gilt auch für uns in diesem neuen Jahr – nicht weil wir Hagar sind oder uns an ihren Platz in der Geschichte stellen könnten, sondern weil Gott derselbe ist.


Gottes Blick für Not, Gottes Blick für den Einzelnen, für dich und für mich, darf ein Ankerpunkt in diesem neuen Jahr für uns sein.


Von Gott gesehen bedeutet Anerkennung


Wir dürfen unter einem wohlwollenden Blick Gottes in dieses Jahr starten – einem Gott, der sich um den Einzelnen kümmert, einem Gott, der Menschen gerade in den tiefsten Momenten des Lebens nicht allein lässt – in Gefahr, in Verlusten, in Wüstenzeiten.


Gott sieht dich. Weiß, was du mit dir rumschleppst an Sorge, an Müdigkeit, an Zweifel und an Trauer – und sie sind ihm nicht egal.


Du bist ihm wichtig. Du bist geliebt du wirst gesehen.


Der Theologe Hans Joachim Eckstein schreibt:


„Wenn wir uns selbst nur für eine Sekunde mit den Augen dieser wahrnehmenden Liebe Gottes sehen könnten, dann hätten sich unsere Selbstzweifel wohl für eine ganze Ewigkeit verflüchtigt.“

In der Begegnung mit diesem Gott darf die Angst weichen übersehen zu werden, zu kurz zu kommen oder um Ansehen kämpfen zu müssen.


Gott sieht dich an.


Von Gott gesehen hat etwas zutiefst Entlarvendes


Es gibt Situationen im Leben, da wollen wir gerne gesehen werden. Wenn wir Gutes tun, wenn wir uns erfolgreich fühlen, wenn wir etwas leisten. Es gibt aber auch Momente, in denen wollen wir nicht gesehen werden.


In der vergangenen Woche ließen manche verlauten: „Ich find die Vorstellung gar nicht so cool, dass Gott mich sieht“


In unserem Neid, unserer Gier, unseren Egoismus – es gibt Situationen, da weichen wir dem Blick Gottes aus. Wir können das Ansehen Gottes nicht kontrollieren – im Blick Gottes sein hat auch was Entlarvendes – kein böser, geiziger, missgünstiger, hässlicher Gedanke ist diesem Gott verborgen.


Und vielleicht denkt man dann schnell an einen kontrollierenden Gott „Der liebe Gott sieht alles, pass bloß auf“


Und vermutlich würden wir so manches nicht tun, wäre uns ständig vor Augen, dass Gott alles sieht - was wie eine Drohung klingen mag.


Abgesehen davon, dass wir es persönlich nicht so angenehm finden, ist es aber auch eine gute Nachricht, dass Gott bei Bösem nicht wegschaut. Wenn Gott Böses nicht sieht, dann könnte es auch keine Gerechtigkeit von ihm geben.


Gottes Blick ist für uns, aber er ist auch entlarvend. Er zeigt Hagar auf, dass sie zurückkehren soll und auch erscheint vielleicht so manches in unserem Leben an Situationen, an Leid, was wir als Zumutung und Untragbaren erleben.


Von Gott gesehen hat was Erlösendes


Und es stimmt, unter dem Blick Gottes zu leben, bedeutet nicht, dass es nur leicht ist, dass ich mich immer gut fühlen werde oder meine Situation sich schlagartig ändert.


Aber es bedeutet IMMER, dass ich unter dem Blick Gottes Zuwendung und Trost erleben darf.


Gottes Blick ist nicht nur entlarvend, sondern erlösend.


Denn Gottes Blick auf uns weist uns zwar auf unsere Sünde und unsere Fehler hin, aber wenn unser Blick dem Blick Gottes ausweichen will, weil wir Verurteilung erwarten, dann dürfen wir eines wissen:


Gottes Blick ist nicht verurteilend – entlarvend, wahrhaftig, aber nicht beschämend. Wir werden durchschaut, aber nicht verachtet. Wir werden durchschaut, aber sind geliebt.


Denn wie auch bei Hagar Gottes Blick nicht in ihrer Gegenwart endet, geht Gottes Blick auch heut über unser Hier und Jetzt hinaus. Hagars Hoffnung speist sich aus einer Zusage, aus einer Verheißung für ihr Morgen. Gott sieht sie nicht nur, tröstet sie nicht nur, sondern erlöst sie auch, wird zum Retter in ihrer Not und richtet ihren Blick auf ihre Zukunft.


Gott erbarmt sich nicht nur über das Elend einer Sklavin in der Wüste, sondern über die Not der gesamten Menschheit.


Was Hagar nur als Verheißung mitnehmen konnte, dürfen wir heute bereits als eingelöstes Versprechen Gottes feiern.


Gottes guter Blick auf uns, wir ultimativ für immer darin verbürgt, dass er Jesus zu der Erlösung der gesamten Menschheit gibt. Jesus garantiert, dass wir uns Ansehen nicht verdienen oder erkämpfen müssen, aber auch dass wir Ansehen nicht verlieren können und stirbt für die Menschheit, damit diese Freiheit für uns alle gilt.


In Psalm 34, 6 heißt es:

„Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden.“

Das wünsche ich dir und mir von Herzen: dass wir mit Mut und Zuversicht in den Blick Gottes treten, der sich dir und mir in Liebe zuwendet, der in jeder Zumutung nahebleibt und uns erlöst.


Amen.




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